Der Weg zur Weisheit

Wie Gefühle uns verraten, was wichtig ist
2017-03-15 / blinry / CC BY-SA 4.0 / german, translation

Dies ist eine Übersetzung von Joe Edelmans Essay When Wisdom Comes, das mich sehr berührt und geprägt hat. Wenn ihr könnt, lest das Original!

Herzlichen Dank an rixx, Pecca und Wolfgang für’s Korrekturlesen! <3


Gefühle werden oft missverstanden. Sogar von Psychologen, Philosophen und Neurowissenschaftlern und sicherlich von Designern und Aktivisten.

Ich werde zunächst beschreiben, wie Gefühle in uns wirken. Daraus ergeben sich Definitionen von Integrität und Weisheit. Ich werde die Frage stellen, ob sich die Weisheit im Niedergang befindet, und Antworten finden, die mit Organisationen und Bürokratien zu tun haben. Und schließlich werde ich betrachten, wie man anderen im Blick auf ihre Gefühle und Werte helfen kann.

Wie Gefühle in uns wirken

Dies ist die Grundidee:

Jedes Gefühl ruft uns etwas in Erinnerung, das uns wichtig ist.

Zum Beispiel:

Wir lernen durch unsere Gefühle, was uns wichtig ist. Sie verraten uns unsere Werte.

Gefühle helfen uns außerdem, unseren Umgang mit unseren Werten zu überprüfen. Positive Gefühle erinnern uns daran, zu begrüßen oder wahrzunehmen, was uns wichtig ist. Negative Gefühle hingegen tun mehr: Ein negatives Gefühl signalisiert einen Konflikt zwischen unseren Werten, über den wir nachdenken sollten:

Es gibt viele weitere Arten von Konflikten. Zum Glück haben wir aber Gefühle, die uns mitteilen, dass wir uns mit diesen Konflikten auseinandersetzen müssen, anstatt sie einfach zu übergehen. Die Gefühle erinnern uns daran, uns selbst Fragen zu stellen wie:

Oft wollen wir uns diese Art von Fragen nicht stellen. Aber die Gefühle kommen weiter in uns auf, bis wir es tun. Bis wir uns die Zeit nehmen, all diese Konflikte so gut es geht zu lösen, gibt es eine Diskrepanz zwischen dem, was wir leben, und dem, was uns wichtig ist. Diese Diskrepanz führt dazu, dass wir nicht stolz darauf sein können, wer wir sind. Um uns selbst und unsere Entscheidungen akzeptieren zu können, müssen wir uns mit den Konflikten auseinandersetzen.

Besitzt du Integrität?

Oft scheitern wir daran, die Botschaften unserer Gefühle zu empfangen. Dafür kann es drei Gründe geben:

Du kannst diese Probleme vermeiden, indem du die Situationen in deinem Leben ganz zu Ende fühlst, angefangen bei den Emotionen, und endend mit einer Vereinbarung von Werten:

FühlenWertschätzenSich auseinandersetzenVereinbaren

Eine Person, die alle ihre Situationen zu Ende gefühlt hat, besitzt Integrität. Sie ist geerdet. Integrität bedeutet, dass sie weiß, was ihr wichtig ist, und dass sie sich mit allen Konflikten auseinandergesetzt hat.

Zu Integrität zu kommen ist am einfachsten, wenn sich deine Situation langsam ändert: Dann hast du viel Zeit, um deine Gefühle wahrzunehmen, um herauszufinden, was dir wichtig ist, und um dich mit möglichen Konflikten auseinanderzusetzen.

Und wie ist es mit Weisheit?

Je dynamischer dein Leben ist – je größer die Vielfalt an Leuten und herausfordernden Situationen ist, mit denen du jeden Tag umgehst – desto schneller musst du im zu Ende fühlen sein. Die wichtigste Fähigkeit für Führungspersonen ist es, schnell darin zu sein, Dinge zu Ende zu fühlen. Eine solche Person ist lebenserfahren oder weise.

Es ist leicht zu erkennen, ob eine Person weise ist: Sie spricht klar und deutlich über ihre Gefühle und Werte und darüber, wie sie sich in verschiedenen Situationen mit ihren Werten auseinandergesetzt und diese miteinander vereinbart hat.

Sie ist außerdem kreativ. Eine weise Person lenkt ihr Leben und ihre soziale Aktivität in ungewöhnliche, kreative Richtungen. Sie hat Werte, die nur durch die Auseinandersetzung mit Konflikten entdeckt werden können.

Hier ist ein Beispiel:

Ein Diagramm von Gefühlen und Werten

In beiden Fällen behob der Übergang von alten zu neuen Werten einen Denkfehler:

Ich konnte die alten Werte deshalb aufgeben, weil ich geklärt hatte, was sie wirklich für mich bedeuteten. Die Bedeutsamkeit der alten Werte ging völlig in dem neuen, umfassenderen Wert auf.

Diese mächtigen neuen Werte und Perspektiven resultieren aus negativen Gefühlen. Ohne unsere Gefühle würden wir auf primitiven Werten wie gemocht werden und effektiv sein hängenbleiben.

Ist Weisheit im Niedergang?

Ich glaube, dass all dies – Gefühle, Werte, deren Vereinbarung – Teil der menschlichen Natur ist, genau wie Sprache oder Gebärden. Aber viele von uns haben das aus dem Blick verloren. Wenn Gefühle natürlich sind, warum ist das Wesen von Gefühlen dann so undurchschaubar?

Wie Individuen sich verwirren lassen

Unsere Fähigkeit, Dinge zu Ende zu fühlen, ist Angriffen ausgesetzt. Zum Einen arbeiten verbreitete kulturelle Mythen daran, uns hinsichtlich der Funktionsweise von Gefühlen und Integrität zu verwirren. Und zum Anderen lassen falsche Annahmen unsere Werte unvereinbar erscheinen.

Kulturelle Mythen. Es gibt verbreitete kulturelle Missverständisse zum Thema Gefühle:

Die dominierenden Ansätze der klinischen Psychologie unterstützen und fördern diese Mythen: Die stoische Sichtweise wird von kognitiver Verhaltenstherapie und Lebensberatung unterstützt, während die hysterische Sichtweise von verschiedenen Karthasis-Therapien bzw. künstlerischen Therapien, von Achtsamkeitstraining, von manchen Formen der Familientherapie und von Co-Counseling gefördert wird.

Falsche Annahmen. Kulturelle Mythen unterbrechen den Prozess, zu fühlen oder zu erkennen, was wichtig ist. Unsere Kultur ist außerdem voller falscher Annahmen, die Werte unvereinbar erscheinen lassen. Annahmen wie:

Wenn du einer solchen falschen Annahme unterliegst, ist es dir nicht möglich, dich mit einem Wertkonflikt auseinanderzusetzen und ihn aufzulösen. Die falsche Annahme sagt dir, dass eine Auflösung unmöglich ist. Welches Gefühl auch immer den Prozess ausgelöst hat (zum Beispiel Scham darüber, nicht freundlich zu sein, Aufregung darüber, verführerisch zu sein, oder ein Verlangen nach kreativem Ausdruck), es verwandelt sich in Verzweiflung, bevor du die Chance hast, dich mit dem Konflikt auseinanderzusetzen.

Wenn du die falsche Annahme findest und sie hinterfragst, kannst du den Konflikt auflösen.

Warum die Gesellschaft auf Verwirrung ausgelegt ist

Wenn also diese kulturellen Mythen und falschen Annahmen auf individueller Ebene so schlecht für uns sind, warum sind sie so verbreitet? Hier ist meine Vermutung: Sie haben Menschen berechenbarer gemacht und sie in bessere Rädchen im sozialen Getriebe verwandelt.

Im Laufe der letzten 300 Jahre sind Organisationen, Bürokratien und Institutionen immer komplexer geworden. Um stabil zu bleiben, brauchten sie vorhersagbare Entscheidungen der Menschen in ihnen.

Eine Person ist einfacher zu kontrollieren, wenn sie nicht gut im zu Ende fühlen ist und wenn sie glaubt, dass ihre Werte unvereinbar sind. Sie wird ein besserer Konsument und (zumindest in einer Bürokratie) ein besserer Produzent.

Die erfolgreichsten Subkulturen wären also diejenigen mit kulturellen Mythen und falschen Annahmen. Und wenn Leute darauf getrimmt werden, effektiv zu sein, werden diese kulturellen Mythen und falschen Annahmen verstärkt.

Das würde ein Muster erzeugen, das wir heutzutage sehen: Je erfolgreicher eine Gruppe ist, desto verwirrter ist sie im Blick auf Gefühle und Weisheit.

Anderen helfen

Erwarte fürs erste also, von Leuten umgeben zu sein, die schlecht im zu Ende fühlen sind, die nicht lebenserfahren oder weise sind, und die tief in kulturellen Mythen und falschen Annahmen verstrickt sind. Das wird so bleiben, bis Organisationen und Institutionen anders funktionieren.

Aber du kannst den Menschen, die dir nahe stehen, helfen:

Viel Glück.


Gibt es eine Person, von deren Gefühlen und Werten du gern mehr hören würdest? Schick ihr diesen Text!


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