Stilles Wasser im Blindtest

2015-10-12 / blinry / CC BY-SA 4.0 / german, blog

Blindtests sind toll! Ich habe in der Vergangenheit schon Blindtests von Vollmilchschokoladen, Colasorten und Koffeinbrausen gemacht. Vor einigen Wochen stieß ich dann auf diesen Tweet von dome, in dem es um die Verkostung von stillem Wasser ging. Ich beschloss, einen ähnlichen Test durchzuführen, denn ich hatte in Restaurants schon öfter unangenehm salziges Wasser serviert bekommen, und war dementsprechend neugierig darauf, wie groß die geschmacklichen Unterschiede sein würden.

Nach der Durchführung wurden Rufe nach Open Data laut, diese Dokumentation ist die direkte Folge.

Noch ein Hinweis: Klar, stilles Wasser in Flaschen ist teuer, produziert Plastikabfall und unterliegt in Deutschland weniger strengen Kontrollen als Leitungswasser. Wenn nichts dagegenspricht, bleibt bei Leitungswasser! Und nun viel Spaß beim Lesen!

Fast alle Flaschen Wasser, die am Test teilnahmen

Fragestellung

Welches stille Wasser ist das leckerste?

tl;dr

Der Preis von Wasser scheint grundsätzlich invers mit der Geschmacksneutralität zu korrelieren. Anders formuliert: Wenn man Wasser mag, das nach nichts schmeckt, kann man mit den Hausmarken der großen Supermärkte (welche momentan 13 Cent pro Liter kosten) nichts falsch machen.

Methode

  1. Die lokalen Supermärkte nach sämtlichen Marken stillen Wassers abgrasen, die sich finden lassen. In diesem Fall umfasste die Auswahl (tatsächlich, und unbeabsichtigterweise) 42 Sorten, plus das örtliche Trinkwasser.

    Einkaufswagen mit etlichen Flaschen Wasser

  2. Jede Wassersorte in einen eigenen Plastikbecher einschenken, auf dessen Unterseite der Name der Sorte steht.

    Abfüllen des Wassers in Plastikbecher

  3. Becher mischen, dann zu Buchführungszwecken seitlich auf jeden Becher eine fortlaufende Indexnummer schreiben.
  4. Prost! Für jede Wassersorte soviele sensorische Eindrücke wie gewünscht notieren (gustatorische, olfaktorische, …). Dabei auch die Indexnummer festhalten, und eine Gesamtnote vergeben. Hinweis: Bei 43 Bechern á 200 ml ergibt sich eine Gesamtmenge von 8,6 Litern Wasser, die, sollte man sie auf einmal zu sich nehmen, definitiv lebensbedrohlich sein kann. Teamwork wird daher empfohlen. In diesem Fall oblag die Durchführung des Tests zwei Personen, Person A und Person B. Person A verwendete ein Schulnotensystem von 0 bis 15 Punkten, während Person B auf einer Skala von -3 (doppelplusschlecht) bis 3 (doppelplusgut) bewertete.

    43 Plastikbecher mit Laptop

  5. Optional: Das obere Quartil der Sorten nochmals durchgehen und auf einer höher angesetzten Skala zu differezieren versuchen.
  6. Die Auflösung. In der Bewertungstabelle die Indexnummern den Wassersorten zuordnen. Folgenreiche Schlüsse ziehen und die bisherigen Lebensentscheidungen kritisch hinterfragen.

Resultate

Folgende Liste ist nach einer gemittelten Gesamtbewertung sortiert, die sich als Durchschnitt aus den Bewertungen von Person A und Person B berechnet. Zur Erinnerung: Person A verwendete eine Skala von 0 bis 15, Person B eine Skala von -3 bis 3, die Gesamtbewertung ist in Prozent zwischen 0 und 100 angegeben. In sämtlichen Skalen sind höhere Werte besser.

Sämtliche Ergebnisse sind außerdem auch im CSV-Format verfügbar.

Auswertung

Offenbar war das Geschmacksideal beider Testpersonen möglichst geschmacksneutrales Wasser. Saure und metallische Geschmacksnoten wurden deutlich abgelehnt, aber auch Sorten mit süßen Unternoten landeten eher im oberen Mittelfeld.

Auffällig ist, dass sämtliche Hausmarken der großen Supermärkte, die momentan für 13 Cent/L gehandelt werden (Gut und Günstig von Edeka, Elitess von Penny, Quellbrunn von Aldi, ja! von REWE, Saskia von Lidl, Tip von Real, Surf von Norma, Vitalbrunnen von Netto) alle mit Gesamtnoten von mindestens 72% abschlossen.

Auch im Allgemeinen ist im Verhältnis von Preis und Gesamtnote ein Abwärtstrend zu erkennen, wenn man eine Trendlinie über die Daten legt (die preislichen Ausreißer Fiji und babylove werden in diesem Diagramm nicht berücksichtigt):

Preis vs Gesamtnote

Es gab außerdem wenige Sorten, die von den Testpersonen grundsätzlich anders bewertet wurden. Ausnahmen umfassen das Leitungswasser, das von Person A mit 0 und von Person B mit 2 Punkten bewertet wurde, sowie das Quellbrunn Werretaler-Quelle, das von Person A mit 8 und von Person B mit -3 Punkten bewertet wurde:

Note A vs Note B

Methodenkritik

Zuletzt noch einige Anmerkungen, welche die Testdurchführung betreffen, und die bei der Nachahmung dieses Versuches hilfreich sein sollen.

Plastikbecher sind dünnwandig [citation needed]. Bei dieser Durchführung wurde nicht bedacht, dass man potentiell in der Lage sein würde, die auf dem Boden stehende Sortenbezeichnung beim Trinken (spiegelbildlich) zu lesen. Es wird eine weitere Indirektionsstufe in Schritt 2 empfohlen: Eine Tabelle der Sorten aufstellen, diese zufällig sortieren, ihnen jeweils eine Nummer zuordnen, und diese dann vor dem Befüllen auf den Boden schreiben. Bei dieser Durchführung wurde dieser Defekt durch die Technik “nicht Hingucken” ausgeglichen.

Die Geschmacksbeurteilung wurde bei dieser Durchführung unstrukturiert in einem Freitextfeld durchgeführt, da uns zu Beginn des Tests keine Kriterienliste vorlag, mithilfe derer die Bewertung strukturiert hätte werden können. Nach Abschluss des Tests empfehlen wir, folgende geschmackliche Aspekte getrennt festzuhalten, um eine differenziertere Beurteilung zu erlauben:

Ganz sicher fand bei dieser Durchführung durch die gemeinsame, gleichzeitige Verkostung eine gegenseitige Beeinflussung der Testpersonen statt. Dies wurde hier bewusst in Kauf genommen. Wem exakte, unabhängige Ergebnisse wichtiger sind als die Gestaltung des Tests als soziales Event, dem sei statt einer parallelen Verkostung eine serielle empfohlen.

Schlussworte

Wir wären sehr daran interessiert, wie reproduzierbar unsere Ergebnisse sind. Insofern ergeht der Aufruf an alle Leser, diesen Blindtest – gegebenenfalls in kleinerem Stil, mit bekannten oder leicht zugänglichen Wassersorten – zu wiederholen!

Bei der bisherigen Auswertung haben wir uns auf die rein subjektiven Geschmacksbewertungen beschränkt. Eine weitergehende Inbezugsetzung der Geschmacksurteile und der Mineralstoffkonzentrationen in den Wassersorten wäre interessant und ist in Planung.

Schließlich an dieser Stelle nochmals herzlichen Dank an die nicht namentlich gennante Testperson für tatkräftigen und moralischen Beistand und die professionelle wissenschaftliche Betreuung.


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